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Internationale Vereinheitlichung des Kaufrechts — Teil 2

Verfasser | Prof. Dr. Ernst von Caemmerer

Quelle: Schweizerische Juristen-Zeitung. 1981 (16/17). S. 257–267.

Vortrag gehalten am 15. Januar 1981 vor dem Zürcherischen Juristenverein. Die Vortragsform ist beibehalten

Jahr: 1981.

IV. Der Anwendungsbereich des Wiener Kaufrechts

Ich will nun im folgenden einen Blick auf den Inhalt des Wiener Kauf rechts werfen. Dabei habe ich nicht oder doch nur beiläufig die Absicht, die Unterschiede zum Haager Kaufrecht herauszuarbeiten. Das würde nur dessen spezielle Kenner interessieren. Es erscheint mir vielmehr nötig, das Wiener Einheitliche Kaufrecht, das Weltkaufrecht der Vereinten Nationen aus sich heraus zu verstehen und zu beurteilen, wie es dann später auch von der Praxis angewendet werden muss.

1. Internationaler Anwendungsbereich des Wiener Übereinkommens

Ich beginne mit dem internationalen Anwendungsbereich des Wiener Übereinkommens, des Wiener Einheitlichen Kaufrechts. Dasselbe soll, wie wir sahen, in seinem Regelungsbereich das internationale Privatrecht überflüssig machen. Aber natürlich müssen Bestimmungen über den internationalen Anwendungsbereich des Übereinkommens getroffen werden. Das geschieht durch möglichst einfache einseitige Kollisionsnormen, mit denen das Einheitliche Kaufrecht seinen Anwendungsbereich selbst bestimmt. Man kennt diese Technik von den grossen internationalen Rechtsvereinheitlichungen im Transportrecht im Warschauer Abkommen, im LIM oder im CMR.

Das Einheitliche Kaufrecht findet danach auf Kaufund Werklieferungsverträge über bewegliche Sachen Anwendung, wenn Verkäufer und Käufer ihre Niederlassung oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen Vertragsstaaten haben. Freilich muss vor oder bei Vertragsabschluss erkennbar geworden sein, dass die Vertragsparteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben, dass also ein grenzüberschreitender Kauf vorliegt. Kauft ein deutscher Rechtsanwalt in Paris in einem Laden, ohne nähere Angaben zu machen, einen elektronischen Taschenrechner, den er in seinem Büro verwenden will, und nimmt er ihn unter Barzahlung mit, so ist das ein rein französischer Inlandskauf, und etwaige Beanstandungen beurteilen sich nach dem Code civil und nicht nach dem Wiener Kaufrecht. Kauft derselbe Anwalt in Paris juristische Literatur, die er sich in sein Frankfurter Büro schicken lässt, so wäre, wenn Frankreich und Deutschland Vertragsstaaten sind, Wiener Einheitliches Kaufrecht anwendbar. Nur Käufe, die dem Erscheinungsbild nach rein intern sind, werden von der Anwendung des Einheitlichen Kaufrechts ausgenommen. Wenn Verträge durch Korrespondenz über die Grenze hinweg abgeschlossen werden, wird der internationale Charakter aber immer erkennbar sein.

Bis in die Wiener Verhandlungen hinein umstritten war eine ergänzende Bestimmung über den internationalen Anwendungsbereich, die ergänzend doch noch das internationale Privatrecht bemüht. Sie ist auf der Konferenz angenommen worden und besagt, dass das Einheitliche Kaufrecht auch dann anwendbar ist, wenn das internationale Privatrecht zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaates führt. Nimmt man also einmal an, Frankreich sei Vertragsstaat, die Schweiz aber nicht, und eine französische Firma habe Waren an eine Firma in Zürich verkauft, so würde das Einheitliche Kaufrecht anwendbar sein, weil der Kaufvertrag internationalprivatrechtlich französischem Recht als dem Recht der charakteristischen Leistung unterliegt. Dass die Käuferin ihre Niederlassung in der Schweiz als einem Nichtvertragsstaat hat, soll unerheblich sein. Man hat das als einen Übergriff einem Nichtvertragsstaat gegenüber kritisiert. Aber das war wohl nicht begründet. Auch der schweizerische Richter hält französisches Recht als Verkäuferrecht, als Recht der charakteristischen Leistung, für massgeblich. Damit überlässt er dem französischen Recht zu entscheiden, ob es die Regeln des Code civil oder die auf grenzüberschreitende Käufe besser passende Ordnung des Wiener Einheitlichen Kaufrechts anwenden will. Aber das Ganze ist natürlich wieder eine Komplikation. Internationalprivatrechtliche Regeln mit ihren Unsicherheiten werden bemüht, um den Anwendungsbereich des Wiener Einheitlichen Kaufrechts zu erweitern. Diese Komplikation wird erst dann praktisch gegenstandslos werden, wenn, wie man hofft, durch geschlossene Beitritte etwa der Mehrzahl der EWG-Staaten grosse Rechtsgebiete des Einheitsrechts für internationale Käufe entstehen.

2. Sachliche Einschränkungen des Anwendungsbereichs

Sachlich sind aus dem Anwendungsbereich Käufe zum persönlichen, Familien- oder Haushaltsgebrauch herausgenommen. Damit wird gesichert, dass Konsumentenschutzgesetze, Abzahlungsgesetze und dergleichen Normen durch Lieferungen aus dem Ausland, die der rein dispositiven Ordnung des Wiener Übereinkommens unterliegen, nicht unterlaufen werden können.

Weiter ist die Problematik der Produktehaftung für Personenschäden aus dem Übereinkommen herausgenommenworden (Art. 5). In den meisten Rechtssystemen ist die Haftung für durch Produkte verursachte Schäden deliktsrechtlich oder sonst ausservertraglich durch strikte oder Gefährdungshaftung geordnet. Solche ausservertragliche Haftung steht sowieso ausserhalb des Wiener Übereinkommens, das allein die Vertragspflichten zwischen den Parteien ordnet. Aber im französischen Recht und den ihm folgenden Rechtsordnungen wird die Produktehaftung auf vertragliche Ansprüche gestützt. Die Vertragshaftung des Übereinkommens hätte aber für die Bewältigung des Problems der dem Vertragspartner oder anderen Personen zugefügten Produkteschäden nicht ausgereicht. Deshalb wurde von französischer Seite der Antrag gestellt, die Produktehaftung für Personenschäden ganz aus dem Abkommen herauszunehmen, was geschehen ist.

V. Der materielle Regelungsbereich des Übereinkommens

Bevor ich auf die Grundzüge der kaufrechtlichen Regelung des Wiener Übereinkommens eingehe, sind noch ein paar Worte zum materiellen, zum gegenständlichen Regelungsbereich der Vereinheitlichung zu sagen. Art. 4 des Übereinkommens sagt darüber das folgende:

«Dieses Übereinkommen regelt ausschliesslich den Abschluss des Kaufvertrages und die aus solchem Kaufverträge entstehenden Rechte und Pflichten des Verkäufers und des Käufers. Soweit es nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, befasst es sich insbesondere nicht mit:

a) der Gültigkeit des Vertrages oder der in ihm enthaltenen Bestimmungen oder von Gebräuchen;

b) den Wirkungen des Vertrages in bezug auf das Eigentum an den verkauften Waren.»

1. Kauf und Eigentumsübertragung

Die Eigentumsfrage ist also ausgeklammert. Die Hoffnung mancher Wirtschaftskreise, das Übereinkommen würde die für die Praxis so wichtige Frage des Eigentumsvorbehalts in Export und Import ordnen können, war nicht zu erfüllen. Schon rechtstechnisch sind bei der Regelung der Übereignung die Unterschiede zwischen Konsens- und Traditionsprinzip kaum zu überbrücken. Hinzu kommt, dass die Sicherungen des Verkäufers, also Eigentumsvorbehalt, privilege du vendeur, Registerpfandrechte des Verkäufers, reservation of title oder im UCC reservation of security interest rechtspolitisch sehr verschieden beurteilt werden. Ihre Regelung hängt aufs engste mit dem Insolvenzrecht und dem Gesamtsystem der Kreditsicherungen in einem Lande zusammen. All das lässt sich nicht vereinheitlichen. Zur Sicherung des Verkäufers bleiben praktisch nur die Personalsicherungen übrig, also die banküblichen Sicherungen durch Akkreditive, letters of credit und Garantien.

Aber die Fragen von Kauf und Eigentumsübergang lassen sich trennen. Insbesondere können, wie schon das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861 bewiesen hat, Eigentumsübergang und Gefahrübergang unabhängig voneinander geordnet werden. Der Gefahrübergang verteilt das Risiko unter den Vertragsparteien. Der Eigentumsübergang wirkt gegenüber Dritten und entscheidet, wie lange die Gläubiger des Verkäufers noch auf die Ware greifen können und von wann an den Gläubigern des Käufers der Zugriff auf sie offensteht. Man hat es als einen der wichtigsten Fortschritte des amerikanischen Uniform Commercial Code (UCC § 2–401) angesehen, dass er ausdrücklich feststellt, dass über Rechtsbehelfe, Rechte und Pflichten von Verkäufer und Käufer «irrespective of title to the goods», also unabhängig von der Eigentumsfrage, zu entscheiden sei.

Das ist auch die Meinung des Wiener Übereinkommens. In der Eigentumsfrage begnügt es sich mit der Feststellung, dass es zu den Verpflichtungen des Verkäufers gehört, dem Käufer Eigentum frei von Rechten und Ansprüchen Dritter zu verschaffen. Was der Verkäufer hierzu tun muss, ergibt sich aus dem zuständigen Landesrecht, also der jeweiligen lex rei sitae.

2. Gültigkeit des Vertrages

Das Wiener Übereinkommen regelt den Abschluss des Kaufvertrages, und zwar den formalen Konsens, das Zustandekommen durch Angebot und ihm entsprechende Annahme. Dagegen sind Fragen der Vertragsgültigkeit von der Regelung ausgenommen. Die Probleme der Nichtigkeit, Unwirksamkeit oder Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln, fehlender Geschäftsfähigkeit, mangelnder Vertretungsmacht, Sitten- oder Gesetzesverstosses konnten nicht vereinheitlicht werden, wenn man im Bereich des Kaufrechts bleiben wollte. Insbesondere entziehen sich wirtschaftsrechtliche und wirtschaftspolitische Vorschriften über Ein- und Ausfuhrverbote, Devisenvorschriften, Boykottanordnungen, Vorschriften kartellrechtlichen Einschlags über die Zulässigkeit von Vertriebsbindungen und Alleinverkaufsrechten oder warenpolizeiliche Vorschriften der Erfassung in einem Einheitsgesetz. Hier stösst die privatrechtliche Kaufrechtsvereinheitlichung auf naturgegebene Grenzen, die man nicht überschreiten kann.

VI. Vertragsabschluss. Vertragsfreiheit

1. Vertragsfreiheit

Die Beschränkung auf die Ordnung des formalen Zustandekommens des Vertrages und auf die Ordnung der Vertragspflichten unter Ausklammerung der Gültigkeitsfragen hat es dem Wiener Kaufrechtsübereinkommen erlaubt, in seiner Regelung völlig dispositiv zu sein. In Art. 6 des Übereinkommens heisst es:

«Die Parteien können die Anwendung dieses Übereinkommens ausschliessen oder von dessen Bestimmungen abweichen oder deren Wirkung ändern.»

Im Haager Kaufrecht hatte es geheissen, dass ein solcher Ausschluss ausdrücklich oder stillschweigend geschehen könne. Auf der Wiener Konferenz war einerseits beantragt worden, das wiederherzustellen, andererseits wurde gefordert, für den Ausschluss Ausdrücklichkeit zu verlangen. Beide Anträge wurden abgelehnt. Ausschluss des Abkommens oder Derogation einzelner Bestimmungen können also sowohl ausdrücklich wie konkludent geschehen. Aber es muss sich um realen Parteiwillen handeln. Auf fiktiven oder hypothetischen Parteiwillen kann man sich nicht berufen. Das ist gesund und soll verhindern, dass durch diese Hintertür die alten Unsicherheiten in der kollisionsrechtlichen Bestimmung des Anwendungsbereichs wiederkehren.

2. Formfreiheit

Seitdem das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 in Art. 317 I als Vorläufer von Art. 11 I Ihres Obligationenrechts bestimmt hatte:

«Bei Handelsgeschäften ist die Gültigkeit der Verträge durch schriftliche Abfassung oder andere Förmlichkeiten nicht bedingt»,

sind Parteiautonomie und Formfreiheit auf das engste miteinander verbunden. Dabei wendet sich das Prinzip der Formfreiheit nicht nur gegen eigentliche Formerfordernisse wie Schriftform, Beurkundung u. dergl., sondern auch gegen Vorschriften, die die Schriftform mittelbar erzwingen, indem sie nach dem Vorbild des französischen Code civil (Art. 1341)

von einer gewissen Wertgrenze an den Zeugenbeweis ausschliessen oder doch wenigstens ein «commencement de preuve par ecrit» verlangen (Art. 1347 I C. c.). Sachlich übereinstimmend mit dem Haager Kaufrecht bestimmt daher das Wiener Übereinkommen in Art. 11:

«Ein Kaufvertrag braucht nicht schriftlich abgeschlossen oder nachgewiesen zu werden und unterliegt auch sonst keinen Formvorschriften. Er kann auf jede Weise nachgewiesen werden, auch durch Zeugen.»

Hier ist nun einer der Punkte, in denen sich bei den Beratungen des Kaufrechts Gegensätze und Blockbildungen ergeben haben. Die Ostblockstaaten als Staatswirtschaftsländer, insbes. die UdSSR selbst, bestanden auf der Schriftform für Kaufverträge. Die Mehrzahl der westeuropäischen Nationen legten auf die Formfreiheit Gewicht.

Dieser Gegensatz wurde dadurch überbrückt, dass jedem Vertragsstaat gestattet wurde, eine Erklärung abzugeben, dass diese Formfreiheitsvorschrift für Verträge mit in Vorbehaltsstaaten niedergelassenen Vertragspartnern nicht gelten solle (Art. 12, Art. 96). Hier kann also nach wie vor Schriftform verlangt werden, was dann allgemein respektiert werden muss. Das Problem ist für den ursprünglichen Vertragsabschluss nicht so gravierend. Internationale Kaufverträge dürften in aller Regel als Formularverträge oder sonst in schriftlicher Weise niedergelegt werden. Unzuträglichkeiten ergeben sich aber bei Nachbestellungen während der Vertragsdurchführung und bei Vertragsänderungen vor allem in der Leistungsbeschreibung, die sich an Ort und Stelle, etwa bei der Durchführung einer Montage, als nötig erweisen und dann nur allzuleicht formlos abgesprochen werden. Hier ist es nun von grösster praktischer Wichtigkeit, dass in Wien ein zusätzlicher Artikel in das Übereinkommen eingefügt wurde, wonach Telegramm und Telex als Schriftform i.S. des Übereinkommens gelten. Verlangt also ein Vorbehaltsstaat schriftliche Form, dann ist seinen Vorschriften auch durch Telegramm oder Telex genügt. Das dürfte eine wichtige praktische Aushilfe sein.

Zugleich ist für Vertragsabänderungen und Vertragsaufhebungen verordnet, dass sie «by the mere agreement of the parties» — «par simple accord» — also durch blosse Übereinkunft der Parteien erfolgen können. Ein eigentlicher Vertrag soll also nicht erforderlich sein. Damit wird das Erfordernis einer «consideration» für Vertragsänderung und -aufhebung beseitigt, das im gesamten anglo-amerikani-schen Bereich hier so grosse Schwierigkeiten macht und Vertragsänderungen und -aufhebungen mangels spezieller Gegenleistung mit Nichtigkeit bedroht.

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