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Neue Entwicklungen im UN-Kaufrecht — Teil 2

Prof. Dr. Burghard Piltz

Veröffentlicht in:

Neue Jurustische Wochenschrift 1996. S.2768–2773

S. 2768–2770, 2771–2773

S. 2771

die AGB hingewiesen wird und auf der Rückseite die AGB in deutscher und italienischer Sprache abgedruckt sind (49). Nicht in der Vertragssprache abgefaßte AGB werden hingegen in der Regel nicht Vertragsbestandteil (50). Bei kollidierenden AGB ist die Lösung grundsätzlich über Art. 19 zu suchen (51). Jedenfalls scheidet Art. 19 nicht bereits schon dann als Lösungsansatz aus, wenn die Parteien nach wechselseitigem AGB-Austausch anschließend den Vertrag durchführen (52).

II. 3. Primärpflichten des Verkäufers und des Käufers

Für den Berichtszeitraum sind keine Entscheidungen auszumachen, die sich näher mit den Primärpflichten des Verkäufers nach Art. 30ff. auseinandersetzen. Anders steht es um die Pflichten des Käufers, die in Art. 53ff. zusammengestellt sind. Im Falle fehlender Parteivereinbarung ist der Kaufpreis im Zweifel in der am Zahlungsort maßgeblichen Währung zu zahlen (53). Ist danach in ausländischer Währung zu leisten, steht dem Verkäufer kein Anspruch auf Zahlung in deutscher Währung zu (54). Der Zahlungsort ist - anders als nach unvereinheitlichtem deutschen Recht - in der Regel am Sitz des Verkäufers, Art. 57 I lit. a. Diese Bestimmung gilt namentlich bei Lieferung gegen offene Rechnung (55) und eröffnet dem Exporteur i.V. mit Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ (56), Art. 5 Nr. 1 Lugano-Übereinkommen (57) bzw. § 29 ZPO die Möglichkeit, den ausländischen Abnehmer vor den Heimatgerichten des Verkäufers zu verklagen. Wenn aber gegen Übergabe der Ware oder von Dokumenten zu zahlen ist, gibt der jeweilige Übergabeort zugleich den Zahlungsort vor, Art. 57 I lit. b. Demzufolge hat die Absprache "frei Haus ... Bezahlung mit bankbestätigtem Scheck bei Abnahme" zur Folge, daß die Zahlung in diesem Fall am Sitz des Käufers zu erbringen ist (58).

II.4. Pflichtverletzungen des Verkäufers

Ausgangspunkt für das Gewährleistungsrecht des UN-Kaufrechts ist der Begriff der Vertragswidrigkeit, vgl. Art. 35. Anders als das BGB/HGB differenziert das UN-Kaufrecht nicht nach Qualitätsmangel, Mengenfehler und aliud-Lieferung. Vielmehr stellt jede Abweichung von der nach Art. 35 geschuldeten Beschaffenheit eine vertragswidrige Lieferung dar. Art. 35 ist demzufolge auch einschlägig, wenn der Verkäufer Stoffe in nicht bestellter Farbe übergibt (59). Art 35 gilt gleichermaßen für von dem Verkäufer mitzuliefernde Dokumente wie etwa Analysenzertifikate und Ursprungszeugnisse (60). Die Einhaltung besonderer öffentlichrechtlicher Vorschriften (z.B. Lebensmittelrecht, Sicherheitstechnik, Gesundheitsschutz usw.) des Käufer- oder Verwendungslandes kann von dem Verkäufer jedoch nicht ohne weiteres erwartet werden (61). Anders ist es hingegen, wenn gleiche Vorschriften etwa aufgrund einer EG/EWG-Verordnung auch für den Verkäufer gelten (62). Ansonsten sind die produktrechtlichen Vorschriften des Käuferlandes nur erheblich, wenn der Importeur den Verkäufer darauf hingewiesen hat und auf die Sachkunde des Verkäufers vertrauen durfte oder die Vorschriften dem Verkäufer aufgrund besonderer Umstände bekannt waren oder jedenfalls bekannt sein mußten. Die Vereinbarung eines Liefer- oder Bestimmungsortes im Land des Käufers führt jedoch noch nicht ohne weiteres dazu, daß der Verkäufer nunmehr die produktrechtlichen Vorschriften des Käuferlandes berücksichtigen müßte (63). Für den deutschen Importeur folgt hieraus, daß er die Einhaltung der in Deutschland geltenden produktrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich zum Inhalt des Kaufvertrages machen sollte.

Nach rügeloser Abnahme der Ware hat der Käufer die Vertragswidrigkeit und nicht der Verkäufer die Vertragsgemäßheit der Lieferung zu beweisen (64). Zur Erhaltung der Rechtsbehelfe wegen Lieferung vertragswidriger Ware obliegt es dem Käufer zudem, die angelieferte Ware innerhalb kurzer Frist zu untersuchen, Art. 38, und Vertragswidrigkeiten innerhalb angemessener Frist dem Verkäufer anzuzeigen, Art. 39. Bei anderen Vertragsverletzungen, etwa im Falle verspäteter Lieferung, bedarf es hingegen keiner Rüge (65). Da jedoch die Vertragswidrigkeit i.S. des Art. 35 auch Mengenabweichungen und aliud-Lieferungen umfaßt, gilt grundsätzlich auch für diese Tatbestände die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit (66). Auch kann eine vertraglich eingegangene Verpflichtung zur Übernahme der Kosten für erst später festgestellte Mängel nicht als Verzicht auf das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Rüge verstanden werden (67).

Die kurze Untersuchungsfrist des Art. 38 ist bei verpacktem frischen Schinken mit drei Tagen (68) und zur Feststellung von Mindermengen bei Textillieferungen mit einer Woche (69) konkretisiert worden. Zum Umfang der von dem Käufer vorzunehmenden Untersuchungen trifft das UN-Kaufrecht keine ausdrückliche Aussage. Gleichwohl ist ein Rückgriff auf nationales Recht verschlossen; vielmehr sind die Einzelheiten aus dem UN-Kaufrecht zu entwickeln (70). In dem Umfang, in dem der Verkäufer Ausgangskontrollen vornehmen konnte und mußte, sind regelmäßig auch dem Käufer Eingangsuntersuchungen zumutbar (71). Auch steht die Lieferung auf mit Kunststoff überzogenen Paletten einer Untersuchung nicht entgegen (72). Andererseits ist der kunststoffverarbeitende Betrieb nicht gehalten, gelieferte Granulate einer chemischen Analyse zu unterwerfen (73).

Anders als für die Untersuchung räumt das UN-Kaufrecht für die Anzeige der Vertragswidrigkeit einen angemessenen Zeitraum ein, Art. 39. Die konkrete Bemessung der Frist ist nach den Umständen des Einzelfalles vorzunehmen. Während bei Maschinen eine Frist von einem Monat angemessen sein kann (74), ist das Einlaufen von Strickwaren in kürzerer Frist zu rügen (75). Fehlmengen von Textilien können in weniger als 12 Kalendertagen angezeigt werden (76). Die Rüge von ohne besondere Schwierigkeiten feststellbaren Webfehlern

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25 Tage nach Ablieferung ist verspätet (77). Vertragswidrigkeiten von Hemden sollen gar innerhalb weniger Tage gerügt werden müssen (78). Die Anzeige von Wasseraustritt wegen Schlauchundichtigkeiten 25 Tage nach Entdeckung ist ebenfalls "eindeutig" zu spät (79). Als grobes Richtmaß kann festgestellt werden, daß eine Rüge innerhalb von 8 Tagen in der Regel noch zeitgerecht ist (80). Bei Lebensmitteln kann allerdings auch diese Frist zu lang sein (81). Der BGH hat bislang eher beiläufig festgestellt, daß eine Frist von einem Monat für ohne weiteres feststellbare Verpackungsmängel "sehr großzügig" sei (82).

Nach Art. 39 I hat der Käufer in der Anzeige auch die Art der Vertragswidrigkeit genau zu bezeichnen. Die Rüge muß so bestimmt sein, daß der Verkäufer ohne weitere Nachforschungen erkennen kann, auf welches wann gelieferte Produkt sich die Anzeige bezieht (83). Ist in mehreren Teilen geliefert worden, muß aus der Rüge auch ersichtlich sein, welche Produkte aus welchen Lieferungen von dem Käufer moniert werden (84). Mißlingt die Nachbesserung, ist neuerlich von dem Käufer nach Art. 39 zu rügen (85).

Sowohl bei Lieferung vertragswidriger Ware wie auch bei sonstigen Leistungsstörungen des Verkäufers stehen dem Käufer die in Art. 45 zusammengestellten Rechtsbehelfe und damit nach Art. 49 auch das Recht zur Vertragsaufhebung zur Verfügung. Hat der Verkäufer vertragswidrige Ware geliefert, kann sich der Käufer allerdings nur unter den Voraussetzungen des Art. 49 I lit. a aus dem Vertrag lösen (86). Art. 49 I lit. b kommt demgegenüber nur zum Zuge, wenn der Verkäufer überhaupt noch nicht - auch nicht vertragswidrige Ware - geliefert hat. Da die aliud-Lieferung anders als im deutschen Recht regelmäßig keine Nicht-Lieferung i.S. des Art. 49 I lit. b darstellt (87), gilt auch in diesem Fall ausschließlich Art. 49 I lit. a. Die gelieferte Ware muß demzufolge nicht nur vertragswidrig i.S. des Art. 35 sein. Zusätzlich setzt die Aufhebung nach Art. 49 I lit. a voraus, daß die vertragswidrige Lieferung eine wesentliche Pflichtwidrigkeit i.S. des Art. 25 ausmacht. Hierfür kommt es nicht unbedingt darauf an, ob die Vertragswidrigkeit nachbesserungsfähig ist oder nicht. Eine wesentliche Vertragsverletzung liegt vielmehr vor, wenn dem Käufer eine anderweitige Verarbeitung oder - wenn auch mit Preisabschlag - ein anderweitiger Absatz der vertragswidrigen Ware im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ohne unverhältnismäßigen Aufwand nicht möglich oder nicht zumutbar ist (88). Gelingt es dem Käufer nicht, diese Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, bleibt ihm die Aufhebung des Kaufvertrages wegen vertragswidriger Lieferung verschlossen.

Die höchstrichterliche Bestätigung des Kriteriums der anderweitigen Verwertbarkeit als Richtmaß für das Vorliegen einer wesentlichen Vertragswidrigkeit liegt ganz auf der Linie der vorherrschenden Literaturmeinungen und ist grundsätzlich zu begrüßen, da auf diese Weise objektivierbare Maßstäbe aufgestellt werden. Andere Gerichte haben diesen Schritt noch nicht vollzogen und kommen so zu Entscheidungen, die über den Einzelfall hinaus kaum aussagekräftig sind. So wird etwa häufig zutreffen, daß ein reparaturfähiger Mangel keine wesentliche Vertragsverletzung begründet (89); allerdings sind auch Situationen vorstellbar, in denen eine Nachbesserung dem Käufer nicht zumutbar ist und eine anderweitige Verwertung nicht in Betracht kommt, so daß auch bei einer reparaturfähigen Vertragswidrigkeit eine wesentliche Vertragsverletzung denkbar ist. Auch ist eine Vertragswidrigkeit nicht bereits deshalb wesentlich, weil der Verkäufer den Mangel schlechthin bestreitet (90). Obwohl Kühlstärke und Stromverbrauch eines Kompressors den Wert von Klimageräten bestimmen, kann nicht aus jeder Abweichung eine wesentliche Vertragsverletzung gefolgert werden (91), da bei angemessenem Preisnachlaß und/oder Schadensersatz durchaus vorstellbar ist, daß der Käufer eine anderweitige Verwertung für die Kompressoren findet. Hingegen wird das Einlaufen von Hemden um 1 bis 2 Größen als wesentliche Vertragswidrigkeit zu qualifizieren sein, da derartige Hemden für den Endkunden unbrauchbar sind (92).

Art. 49 I lit. a stellt im Vergleich zum Recht des BGB nicht nur deutlich strengere Anforderungen im Hinblick auf die Gewichtigkeit der Vertragswidrigkeit, die gegeben sein muß, um zu einer Vertragsaufhebung zu kommen. Art. 49 II verlangt - noch einmal anders als das BGB - zudem, daß die Vertragsaufhebung innerhalb angemessener Frist erklärt werden muß. Aufhebungserklärungen nach drei bis fünf Monaten sind von der Rechtsprechung durchgängig als verspätet verworfen worden (93). Für die Praxis bedarf es daher eines Umdenkens. Um nicht das Risiko einer Fehleinschätzung im Hinblick auf das Vorliegen einer wesentlichen Vertragswidrigkeit und die Angemessenheit der Aufhebungsfrist verantworten zu müssen, sollte der vertragswidrig belieferte Käufer gegenüber dem Kaufpreiszahlungsanspruch des Verkäufers stets auch die Herabsetzung des Kaufpreises, Art. 50, und/oder gegebenenfalls aufrechnungsweise (94) Schadensersatz, Art. 45 I lit. b, geltend machen (95).

II.5. Pflichtverletzungen des Käufers

Der nicht vertragsgemäß bezahlte Verkäufer kann nach Art. 62 weiterhin Zahlung des Kaufpreises geltend machen und ist nach Art. 78 zudem berechtigt, ohne weitere Voraussetzungen, insbesondere auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Verzuges nach §§ 284f. BGB (96) Zinsen auf die ausstehenden Zahlungen zu verlangen (97). Das UN-Kaufrecht regelt jedoch lediglich die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen als solche, trifft aber keine Aussage zur Höhe der Zinsen. Soweit hierzu nicht nach Art. 9 beachtliche Gebräuche festgestellt werden können (98), ist nach überwiegender Rechtsprechung der gesetzliche Zinssatz der Rechtsordnung maßgeblich, die nach den Bestimmungen des Internationalen Privatrechtes für die von dem UN-Kaufrecht nicht geregelten

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Rechtsfragen gilt (99). Allerdings stellen Gerichte teilweise auch auf den gesetzlichen Zinssatz im Land des Gläubigers (100) oder auf den gesetzlichen Zinssatz der Währung, in der Zahlung zu leisten ist, ab (101). Dogmatisch läßt sich die Nichtanwendung des allgemeinen Vertragsstatuts vertreten, wenn für die Frage der Zinshöhe kollisionsrechtlich die Möglichkeit einer gesonderten Anknüpfung gegeben ist. Den staatlichen Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland ist diese Möglichkeit wegen der Regelungsvorgabe des Art. 32 I EGBGB jedoch verschlossen (102), während namentlich Schiedsgerichte häufig über einen kollisionsrechtlichen Ermessensspielraum verfügen. Nach italienischem Recht beträgt der gesetzliche Zinssatz 10 % (103) und nach § 352 ÖstHGB 5 % (104).

Über den gesetzlichen Zinssatz hinausgehende Zinsnachteile kann der Verkäufer als Schadensersatz geltend machen, Art. 78 i.V. mit Art. 74. Ausreichend ist, daß der Verkäufer über die maßgebliche Zeit Kredit in entsprechendem Umfang in Anspruch genommen hat; nicht erforderlich ist hingegen, daß die Kreditaufnahme gerade infolge der Zahlungsverzögerung des Käufers erfolgte (105). Anders als der Zinsausgleich nach Art. 78 ist der über Art. 74 reklamierte Zinsschaden jedoch grundsätzlich nachzuweisen (106). Allerdings kann der Zinsschaden auch nach § 287 ZPO geschätzt werden (107).

Ende

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